Vom richtigen Umgang mit Fehlern
Autor: Oliver Hankeln
Datum:
Schon die alten Römer wussten es: “errare humanum est” - “Irren ist menschlich”. Und spätestens in der Schule haben wir gelernt, dass diese Irrtümer und Fehler etwas Schlechtes sind, das es zu vermeiden gilt. Dazu wurden Belohnungen und Strafen verwendet. Jeder von uns hat sich dann auch gefreut, wenn der Lehrer einen Fehler nicht gefunden hat und es doch noch zur besseren Note gereicht hat.
Was haben wir also getan? Wir haben gelernt, Fehler zu vermeiden. Indem wir uns mehr angestrengt haben, die Kommaregeln gepaukt haben und uns stundenlang durch Vokabellisten gequält haben. Und es hat funktioniert (mit Ausnahme der Französich-Vokabeln, die kann sich niemand merken) - wir haben weniger Fehler gemacht, wenn wir mehr gelernt haben.
Und so ist in uns die Erkenntnis gereift, dass Fehler eine Folge mangelnder Anstrengung und Vorbereitung seien. Kein Wunder, dass in vielen Organisationen dann auch der Reflex da ist, bei Fehlern nach dem Verursacher zu suchen und ihn zu bestrafen - damit er oder sie sich das nächste Mal mehr anstrengt und keinen Fehler macht.
Seltsamerweise funktioniert das aber nicht, sondern führt zu unerwünschten Reaktionen: Mitarbeiter verheimlichen ihre Fehler, niemand will mehr Risiken eingehen, Entscheidungen müssen von Gremien getroffen werden, in denen sich die Verantwortung so fein verteilt, dass niemand mehr “schuld” ist, etc.
Warum also funktioniert die Strategie “sich einfach mehr anstrengen”, die in der Schule und im Studium so erfolgreich war plötzlich nicht mehr, wenn wir im Berufsleben ankommen?
Was hat sich geändert?
Der große Unterschied zwischen unserer täglichen Arbeit und der Schule ist, dass früher zumindest der Lehrer die richtige Antwort kannte. Es gab also eine richtige Antwort - und sie war prinzipiell erkennbar (von besonders perfiden Lehrern mal abgesehen).
Das ist allerdings nicht mehr der Fall, wenn wir uns mit komplexen Problemen beschäftigen. Denn diese zeichnen sich dadurch aus, dass der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung nicht vorhergesehen werden, sondern nur rückblickend analysiert werden kann. Ähnlich wie es auch dem besten Trainer nicht möglich ist, ein Fussballspiel vorherzuplanen, man den Spielverlauf im Nachhinein aber analysieren kann.
Ein immer größerer Teil der Probleme, mit denen wir zu tun haben, sind solche komplexen Probleme - weil wir die “leichteren” Aufgaben zunehmend an Maschinen delegieren. Und bei Problemen, bei denen eine richtige Lösung nicht erkennbar ist, ohne sie ausprobiert zu haben führen zwangsläufig viele Lösungsversuche in die Irre, sind also Fehler.
Fehler, die sich auch durch größere Anstrengungen nicht vermeiden liessen.
Zum Glück ist nicht nur die Art der Probleme, sondern auch die Art der Fehler eine Andere geworden. Wer in der Schule die Aufgabe “Was ergibt 2 + 2 ?” mit 5 beantwortete hat vielleicht zur allgemeinen Erheiterung beigetragen - einen weiteren Erkenntnissgewinn brachte das aber nicht. Fehler, die bei der Lösung komplexer Probleme auftreten, tun das aber sehr wohl.
Wie gehen wir damit um?
Thomas A. Edison soll gesagt haben: “Ich habe nicht versagt. Ich habe nur 10000 Wege gefunden, die nicht funktionieren.” Das ist auch der richtige Ansatz für den Umgang mit Fehlern im 21. Jahrhundert.
- Wir müssen also - weil sie unvermeidbar sind - ein Umfeld schaffen, in dem Fehler keine katastrophalen Auswirkungen haben.
- Uns bewusst mit den gemachten Fehlern auseinandersetzen, um ihnen möglichst viel Erkenntnis zu entlocken.
- Jeden noch so kleinen Anschein von Strafe vermeiden, um die lange antrainierten Reflexe, Fehler verstecken zu wollen, nicht auszulösen
- Über unsere Fehler und die gewonnenen Erkenntnisse sprechen, damit wir weiteres Feedback bekommen und damit das neue Wissen möglichst gut genutzt werden kann.
Und wie genau?
Dafür gibt es - mal wieder - kein Patentrezept. Ein guter Umgang mit Fehlern ist selbst ein komplexes Problem, bei dessen Lösung ihr auch wieder Fehler machen werdet.
Ein paar Anregungen habe ich aber dennoch:
Retrospektiven
Was ihr in fast jeder Umgebung machen könnt: trefft euch für regelmäßige Retrospektiven, bei denen ihr über die Dinge sprecht, die gut, aber besonders auch über die Dinge, die schlecht gelaufen sind. Indem ihr darüber sachlich und ohne Vorwürfe redet, lernt ihr daraus und das gleich auf mehreren Ebenen. Zum einen ist da das Lernen aus den begangenen Fehlern, was hilft, diese künfitg zu vermeiden und zum anderen lernt das Team, sich daran zu gewöhnen, dass Fehler nichts sind, das bestraft wird, sondern etwas, das konstruktiv genutzt werden kann, um etwas zu verbessern und voran zu kommen.
Blameless Post Mortems
Manchmal passiert es - was schief gehen kann, geht auch schief - und alle Welt hat es mitbekommen. Jetzt ist es besonders leicht, in die alten Bestrafungs- und Versteckmechanismen zurückzufallen. Deshalb hilft hier ein disziplinierter Ansatz, bei dem der Fehlerhergang minutiös analysiert wird - und ganz explizit nicht der “Schuldige” gesucht wird, sondern die Stelle, an der das System verbessert werden kann - hier besonders weiter. Ausserdem habt ihr gerade viel Geld/Ansehen/… durch den Fehler verloren - da solltet ihr auch das Maximale an Erkenntnissen aus dem Fehler ziehen.
Fehler-Selbsthilfegruppe
Am Anfang ist es ungewohnt und sogar beängstigend über seine Fehler zu sprechen. Dann ist es oft erstaunlich, welche Wirkung es hat, wenn sich das ganze Team zusammensetzt und jeder über einen kapitalen Fehler, den er oder sie begangen hat, spricht. Hier geht es dann nicht primär darum, aus den Fehlern zu lernen, sondern zu erkennen, dass alle anderen genauso fehlbar sind wie man selbst und es deshalb keinen Grund gibt, seine Fehler für sich zu behalten.
Fazit
Früher haben wir aus Erz Gold gemacht, heute machen wir aus Fehlern Wissen. Deshalb wird es Zeit zu erkennen, dass Fehler prinzipiell nichts schlechtes sind, sondern ein wichtiger Rohstoff.
Was sind Eure Erfahrungen mit dem Umgang mit Fehlern? Habt ihr Anregungen, wie man besser mit ihnen umgeht? Oder habt ihr vielleicht sogar Fehler hier entdeckt? Dann lasst es uns wissen - wir sind für jedes Feedback dankbar!